Radverkehrsführung im Ammerland: Hauptverkehrsstraßen innerorts
Die meisten Unfälle mit dem Fahrrad passieren innerorts. Wie kann der Radverkehr auf Hauptverkehrsstraßen in den Ammerländer Gemeinden sicher geführt werden? Drei Varianten kommen für den ADFC Ammerland in Frage.
Die folgenden drei Varianten sind aus Sicht des ADFC Ammerland für die Radverkehrsführung innerorts auf Hauptverkehrsstraßen mit relativ hohem Verkehrsaufkommen geeignet. Die Reihenfolge der drei Varianten stellt grundsätzlich eine hierarchische Ordnung dar: Die zuvor dargestellte Variante ist der nachfolgenden im Regelfall vorzuziehen. Die Entscheidung für eine passende Variante ist letztlich aber immer von den örtlichen Besonderheiten abhängig.
1. Protected Bike Lane
Die Protected Bike Lane, ein separater und geschützter Radstreifen, ist für den Radverkehr eine besonders sichere und komfortable Variante.
Beschreibung:
- Führung des Radverkehrs auf beiden Straßenseiten im Seitenraum auf Fahrbahnniveau
- Breite der „Protected Bike Lane“: mindestens 2,50 Meter breit, um Überholen anderer Radfahrer*innen zu ermöglichen; 2 Meter als absolute Mindestbreite nur abschnittweise
- Trennung des Radverkehrs von der Fahrbahn des Kraftverkehrs durch Elemente wie Poller oder Blumenkübel und markierte Schutzzonen
- Breite der Schutzzone mindestens 0,75 Meter
- KEINE Parkspur zwischen Fahrbahn und Radweg
Vorteile:
- Schutzraum für den Radverkehr durch Trennung vom Kraftverkehr
- bessere Wahrnehmung des Radverkehrs durch Führung auf Fahrbahnniveau
- Einhaltung des Sicherheitsabstands durch breite Schutzzonen zum Kraftverkehr
- Verhinderung des Fahrens, Haltens und Parkens von Autos auf der „Protected Bike Lane“ durch Trennelemente
- Trennung des Fußverkehrs vom Radverkehr durch Bordsteinkante
Nachteile:
- hoher Platzbedarf: mind. 3 Meter für eine Fahrbahnseite, zusätzlich Abstand zum Fußweg
- hohe Gefahr von Abbiegeunfällen bzw. Einbiegen-/ Kreuzen-Unfällen an Knotenpunkten
→ sichere Gestaltung von Knotenpunkten mit guten Sichtbeziehungen als Voraussetzung
2. Radweg auf dem Hochbord
Wenn keine „Protected Bike Lane“ möglich ist oder örtliche Besonderheiten dafür sprechen, kommt an Hauptverkehrsstraßen auch ein Radweg auf dem Hochbord in Frage. Die Ausgestaltung muss geeignet sein, Abbiegeunfällen vorzubeugen, damit Radwege für alle - auch für Kinder - sicher sind.
Beschreibung:
- Führung des Radverkehrs auf beiden Straßenseiten auf dem Hochbord
- Breite des Radwegs: möglichst 2,50 Meter breit, um Überholen anderer Radfahrer*innen zu ermöglichen; 2 Meter als absolute Mindestbreite
- KEINE Parkspur zwischen Fahrbahn und Radweg
- im Bereich von Einmündungen, Knotenpunkten und Grundstückzufahrten:
- rote Einfärbung des Radwegs
- Markierung von Fahrrad-Piktogrammen auf dem Radweg
- Markierung von „Haifischzähnen“ (Zeichen 342) auf der Fahrbahn
- Anhebung der Radverkehrsfurt (Aufpflasterung)
Vorteile:
- Schutzraum für den Radverkehr durch Trennung vom Kraftverkehr
- Platzbedarf gegenüber „Protected Bike Lane“ etwas geringer
- Verminderung der Gefahr von Abbiegeunfällen bzw. Einbiegen-/ Kreuzen-Unfällen an Einmündungen, Knotenpunkten und Grundstückszufahrten durch Aufpflasterung und Markierungen
Nachteile:
- Kfz-Führer*innen nehmen Radfahrer*innen auf dem Hochbord häufig nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen wahr
- Fußgänger*innen sind nicht durch einen Bordstein vom Radverkehr getrennt
- Gefahr von Abbiegeunfällen bzw. Einbiegen-/ Kreuzen-Unfällen an Knotenpunkten durch Anhebung der Radverkehrsfurt lediglich vermindert, aber nicht gebannt
→ sichere Gestaltung von Knotenpunkten mit guten Sichtbeziehungen notwendig - Platzbedarf
3. Mischverkehr mit Piktogramm-Ketten
Ist auf Hauptverkehrsstraßen eine vom Kraftverkehr getrennte Führung nicht möglich, ist der Radverkehr sicher auf der Fahrbahn zu führen. Dazu muss der Kraftverkehr auf die gemeinsame Führung und die resultierenden Besonderheiten aufmerksam gemacht werden.
Beschreibung:
- Markierung von Fahrrad-Piktogrammen als durchgehende Ketten
- Abstand der Piktogramme: 25-50 Meter
- mittig auf der Fahrbahn
- Hinweistafeln zu Besonderheiten des Mischverkehrs und wichtigen Verkehrsregeln, wie z.B.
„Radfahren auf der Fahrbahn erlaubt“ • "Abstand! innerorts min. 1,5 m“ • „Pass dein Tempo an!“ - begleitende Kampagne(n) für ein besseres Miteinander im Verkehr mit Bannern, Plakaten, Flyern u.ä.
Vorteile:
- sehr gute Sichtbeziehungen zwischen Kfz- und Radverkehr auf der Fahrbahn
- Gefahr von Abbiegeunfällen und Einbiegen-/
- Kreuzen-Unfällen entfällt
- Kfz nehmen Radfahrer*innen als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen wahr
- Förderung der Akzeptanz durch mittige Platzierung der Piktogramm-Ketten, Hinweistafeln und begleitende Kampagne
- Trennung des Fußverkehrs vom Radverkehr
Nachteile:
- kein vom Kraftverkehr abgetrennter Schutzraum für den Radverkehr
- Akzeptanz anfangs teilweise schwierig → Information und Kommunikation notwendig
Sichere Überleitung an Ortseingängen
Unabhängig davon, ob der Radverkehr auf einer „Protected Bike Lane“, auf einem Radweg (Hochbord) oder auf der Fahrbahn geführt wird, ist an Ortseingängen eine sichere Überleitung auf die andere Straßenseite notwendig.
Beschreibung:
- Mittelinsel mit Querungshilfe an den Ortseingängen; gemeinsame Wartefläche für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen
- Länge der gemeinsamen Wartefläche: mind. 4 Meter; Breite der gemeinsamen Wartefläche: möglichst 3,50 Meter für Fahrräder mit Anhängern, mindestens aber 3 Meter
- ortseinwärts: Verschwenkung der Fahrbahn um die Verkehrsinsel
- bei separater Führung des Radverkehrs innerorts:
ortseinwärts Überleitung des Radverkehrs vom außerörtlichen gemeinsamen Fuß- und Radweg auf die entsprechende Nebenanlage - bei Führung des Radverkehrs innerorts auf der Fahrbahn:
ortseinwärts gesicherte Ableitung des Radverkehrs auf die Fahrbahn mit „Stummel-Schutzstreifen“ nach der Querungshilfe
Vorteile:
- sichere Überleitung des Radverkehrs vom oder zum außerörtlichen Zweirichtungsradweg
- geschwindigkeitsreduzierende Wirkung auf den Kraftverkehr am Ortseingang
Nachteil:
- Platzbedarf → Alternative: lichtsignalgeregelte Querungshilfe ohne Mittelinsel
KEINE verkehrssicheren Varianten: Rad- und Schutzstreifen
Aus folgenden Gründen stellten einfache Rad- und Schutzstreifen aus Sicht des ADFC Ammerland KEINE sichere Radverkehrsführung dar:
Verkehrswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Kraftfahrzeuge auf Straßen mit Rad- und Schutzstreifen wesentlich häufiger den Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrer*innen nicht einhalten und dabei ganz besonders eng an den Radfahrer*innen vorbeifahren.1 Kfz-Führer*innen nehmen die Rad- und Schutzstreifen i.d.R. als Schutzraum für den Radverkehr wahr und gehen davon aus, dass sie gefahrlos an Radfahrenden vorbeifahren können, solange sie auf „ihrer eigenen“ Spur bleiben. Rad- und Schutzstreifen sind jedoch grundsätzlich zu schmal, um den Mindestabstand beim Überholen „automatisch“ zu gewährleisten. Auf Straßen ohne Rad- oder Schutzstreifen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Radfahrer*innen zu eng überholt werden, deutlich geringer. Insbesondere wenn kein Gegenverkehr kommt, weichen Kfz auf Straßen ohne Rad- oder Schutzstreifen beim Überholen häufiger die Gegenfahrbahn aus. Erhöhen lässt sich die Sicherheit des Radverkehrs auf der Fahrbahn dagegen durch die Markierung von Piktogramm-Ketten sowie Information und Kommunikation zu den Besonderheiten des Mischverkehrs (siehe oben).
Rad- und Schutzstreifen werden außerdem sehr häufig von Kraftfahrzeugen zum Parken genutzt.
Von Radfahrer*innen werden Rad- und Schutzstreifen sehr schlecht angenommen. Sie bieten in dieser Hinsicht also keine Vorteile gegenüber dem Mischverkehr ohne Markierung von Streifen. Auch die geringe Akzeptanz der Streifen durch den Radverkehr und das häufige Ausweichen auf den Fußweg sind wissenschaftlich belegt.2
1 Huemer, A.K. (2012). Towards an effective measurement of driver distraction in real life and in low cost
simulation. Dissertation, Technische Universität Braunschweig.
2 Richter, T.; Beyer, O.; Ortlepp, J.; Schreiber M. (2019): Sicherheit und Nutzbarkeit markierter Radverkehrsführungen. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Unfallforschung der Versicherer, Forschungsbericht Nr. 59.